Kurz zur Ausgangslage: Spiegel Online (kurz: SPON) setzt – wie viele andere Portale auch – auf sogenannte Affiliate-Links, in diesem Fall von Amazon. Wird ein neues Buch von der Redaktion vorgestellt, so verlinkt SPON im oder bei dem Beitrag auf das passende Produkt im Amazon-Shop. Die Einbindung solcher Verweise ist kein netter Service, sondern ein Geschäftsmodell: Kauft der Leser das Buch, so erhält das verweisende Portal eine Provision. Als normalsterblicher Nutzer kann man Affiliate Links nicht von ganz „normalen“ Verweisen unterscheiden.
Um Missbrauch und verdeckter Schleichwerbung vorzubeugen, müssen in Deutschland Werbelinks eindeutig als „Anzeige“ gekennzeichnet werden, wenn eine finanzielle Gegenleistung erfolgt. Genau mit dieser Kennzeichnung hat es SPON bislang nicht sehr ernst genommen. Das Portal zeigt seinen Lesern also nicht eindeutig, wo der redaktionelle Teil aufhört und wo Werbung anfängt – das ist aus guten Gründen nicht erlaubt (Siehe den Pressekodex, dort Ziffer 7).
Ganz unabhängig davon stellt sich die Transparenz-Frage: Darf man von einem großen Medienhaus, das sich selbst als Hüter der Gerechtigkeit sieht, nicht eine sehr deutliche Kennzeichnung erwarten? Ich weiß, dass sich nicht wenige (selbst durchaus bekannte) Blogger genau einer solchen Kennzeichnung zu entziehen versuchen. Und dies mit teils haarspalterischen Argumenten, wie sie in diesem Beitrag genannt werden. (Der dortige Blogautor führt diese lediglich auf, es sind also nicht seine Argumente.)
Redaktionelle Buchempfehlung versus Werbung
Schauen wir uns die bisherige Vorgehensweise einmal an, anhand eines Beispiel-Artikels bei Spiegel Online. In diesem Fall – einer Buchbesprechung – findet sich ganz am Ende der folgenden Verweis zum besprochenen Werk:
Den so titulierten „Buchtipp“ aus der Redaktion kann man in der allseits bekannten Online-Buchhandlung aufrufen, über den Link „einfach und bequem direkt bei Amazon bestellen“. Das klingt wie eine neutrale Empfehlung, quasi eine Ergänzung zur Rezension. Oder versteckt sich doch mehr dahinter? Denn bei den Verweisen handelt es sich um Affiliate Links. (Wie man diese erkennen kann, dazu später mehr.)
Meines Erachtens täuscht eine solche Vorgehensweise die Leser, denn:
- Nicht Onlinemarketing-versierten Personen ist nicht bewusst, dass bei Kauf des Buchs eine finanzielle Gegenleistung erfolgt. Bei meinen Tests diesbezüglich zeigten sich alle „Kandidaten“ erstaunt: Da half auch das eingebundene Amazon-Logo nicht weiter.
- In manchen Bereichen – etwa innerhalb der Sidebar auf der Spiegel-Hauptseite – werden vergleichbare Formate sehr wohl als das gekennzeichnet, was sie sind: Als Anzeigen. Die Problematik sollte dem Verlag also bewusst sein. Auf den Unterseiten-Sidebars und unterhalb der Beiträge heißt es dann stets „Buchtipp“ statt „Anzeige“.
- Keineswegs werden nur Spiegel-Verlagsbücher – also Eigenproduktionen – auf diese Weise monetarisiert, denn dann hätte man von einer Grauzone sprechen können. Die fehlende Kennzeichnung zog sich bis vor kurzem durch sämtliche „Büchertipps“ von Werken aller Verlage.
Auch andere Bereiche bei Spiegel sind mit Affiliate-Links versehen, ohne die entsprechende Kennzeichnung. So beispielsweise das „Serviceangebote von SPIEGEL-ONLINE-Partnern“ unter -> Freizeit -> Bücher bestellen im Footer der Seite, oder die Bestseller-Listen (Nicht zu verwechseln mit dem Spiegel-Shop auf Amazon):
Hier soll das kleine Warenkorb-Symbol rechts neben jedem Buch darauf hinweisen, dass es sich um einen Shop und damit um ein kommerzielles Angebot handelt. Doch man muss diesen Warenkorb keinesweg nutzen, um das Buch zu bestellen. Ein Klick auf den Titel oder das Bild des Buchs reicht aus, um bei Amazon zu landen – über einen Affiliate-Link. Wird diese Kennzeichnung tatsächlich als solche wahrgenommen und verstanden?
Zunächst – bei Betrachtung einzelner Spiegel-Beiträge – dachte ich: „Da hat jemand in der Redaktion geschlafen und vergessen „Anzeige“ drüber zu schreiben“. Doch mit einer einfachen Google-Recherche fand ich immer mehr nicht als Werbung deklarierte Affiliate-Links bei SPON. Ich fragte via Twitter nach:
@GPSchmitz @SPIEGELONLINE Warum ist der Amazon Affiliate Link im Beitrag nicht als Anzeige markiert? #pressegesetz http://t.co/0IxDDbBmq2
— Michael Firnkes (@blogprofis) 5. März 2014
Keine Reaktion. Das war umso erstaunlicher, da sich die Redaktion von Spiegel Online immer wieder für die transparente Kennzeichnung jeglicher Werbeformate einsetzt. Unter anderem im Rahmen einer Debatte des Fachmagazins „Journalist“. Dort schrieb Rüdiger Ditz, Chefredakteur bei Spiegel Online, unter der Überschrift „Werbung muss erkennbar sein“:
Wir halten das Prinzip der scharfen Trennung von Werbung und redaktionellen Beiträgen für extrem wichtig.
Also hakte ich auch bei ihm nach:
Löblich: „Werbung muss als solche erkennbar sein“ @ditz_r Warum jedoch nicht klar markierte Affiliatelinks auf SPON? http://t.co/nKgEApeFIq
— Michael Firnkes (@blogprofis) 28. März 2014
Keine Reaktion. Blieb noch die Pressestelle von Spiegel Online. Irgendjemand musste sich doch dafür interessieren, dass SPON Wasser predigt und Wein trinkt? Via E-Mail fragte ich:
Warum ist die Anzeige zum Buch (ein sogenannter Amazon-Affiliate-Link) bei dem Beitrag xyz nicht korrekt als Anzeige gekennzeichnet, so wie es die Mediengesetze verlangen? Das gleiche Vorgehen ist mir auch bei anderen Beiträgen von Spiegel Online aufgefallen..
Zwei Tage später erhielt ich eine Antwort:
Die Anzeige ist aus unserer Sicht auch ohne ausdrücklichen Hinweis als solche zu erkennen. In rechtlicher Hinweis möchte ich ergänzen, dass wir in Einklang mit den Vorschriften des § 3 Absatz 5 Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) handeln. Darin sind die Ausnahmen der Kennzeichnungspflicht geregelt. Nach dieser Vorschrift muss eine Verlinkung auf Produkte, Dienstleistungen oder Unternehmen nicht als Werbung gekennzeichnet werden, wenn keine finanzielle Gegenleistung erfolgt.
Das gleiche Herausreden wie bei den Bloggern? Von einem Verlag wie Spiegel? Paragraphen statt Leserinteressen? Ich konnte es nicht glauben und fasste nach (Auszug aus meiner E-Mail):
Aber genau diese finanzielle Gegenleistung ist ja der Fall, durch das eingebaute Amazon-Tag „wwwspiegelde-21“ erfolgt eine Provisionierung bei Amazon? Können Sie dies bestätigen? Und das nicht nur bei Produkten aus Ihrem Eigenverlag, siehe beispielsweise in Artikel xyz den „Buchtipp“ in der Sidebar.
Ich frage mich, warum Sie an manchen Stellen sehr wohl „Anzeige“ über Amazon-Partnerlinks schreiben, an anderen nicht? … Die meisten Leser sind keine Onlinemarketing-Experten und haben noch nie etwas von Affiliate-Marketing gehört. Sie können den möglichen Interessenskonflikt also nicht erkennen und selbst beurteilen.
Das war das Ende meines Kontakts mit der Pressestelle. Eine Antwort konnte oder wollte man mir nicht geben.
„Werbung muss als solche erkennbar sein“ (SPON)
Mich damit abzufinden war keine Option. Also stellte ich eine Anfrage beim Deutschen Presserat. Dort kann man Werbeformate, die nicht als solche erkennbar sind, melden und beurteilen lassen. Dies allerdings nur „im Hinblick auf Online-Medien mit journalistisch-redaktionellen Inhalten, die von Printverlagen ins Netz gestellt werden, da bislang nur für solche Websites eine Zuständigkeit des Presserats besteht“ (Zitat eines Mitarbeiters).
Der Presserat hat das Verfahren – über das ich SPON informierte – angenommen, womit ich nicht unbedingt gerechnet hätte. Bislang hatte ich das Organ nach dem Hörensagen lediglich als zahmen Papiertiger wahrgenommen, der keine wirkliche Handlungsbefugnis hat. Das Verfahren läuft noch. Darin wurde unter anderem eine Stellungnahme von SPON in Aussicht gestellt, die bislang jedoch noch aussteht.
Spiegel Online hat mittlerweile die Kennzeichnung sämtlicher „Büchertipps“ geändert: In „Anzeigen“. Mutmaßlich auf das von mir angestoßene Verfahren hin. Andere Affiliate Links – beispielsweise die der Bestsellerlisten – warten nach wie vor auf einen entsprechenden Hinweis.
In der Zwischenzeit beschwerten sich auch andere Leser öffentlich über das ungewöhnliche Gebaren, jeweils ohne eine Reaktion seitens der Spiegel-Verlagsgruppe:
Ist das ein Affiliate-Link, @SPIEGELONLINE ? Wäre es nicht nett, „Anzeige“ statt „Buchtipp“ zu schreiben? pic.twitter.com/ljV5a9e5ET
— David Nießen (@davidniessen) 21. Juli 2013
Manche werden entgegnen: Was soll diese kleine Wortspielerei „Buchtipp“ oder „Anzeige“ ausmachen. Für mich ist es eine Grundsatzfrage: Wollen wir verdeckte Schleichwerbung in selbsternannten Qualitätsmedien zukünftig dulden (beziehungsweise erst gar nichts darüber wissen) oder nicht?
Dass die meisten Nutzer wohl auch das Wort „Anzeige“ überlesen, ist eine andere Problematik. Es kann meines Erachtens nicht als Entschuldigung dienen. Noch schlimmer: Nicht wenige Blogger reden sich heraus, mit der Aussage: „Die Großen machen das doch auch, warum ich also nicht“. Führende Onlinemedien sind sich ihrer Vorbildrolle in dieser Frage nicht bewusst.
Sind Nachrichten nur noch rein interessengesteuert?
Es geht nicht nur darum, dass die Verlage eine Provision erhalten, die für den Buchkäufer nicht ersichtlich ist. Es geht schlicht auch um die Frage: Wie schätze ich eine Buch- oder eine sonstige Produktrezension auf einer großen Nachrichtenseite ein, wenn ich weiß, dass sich der Verlag über derlei Berichterstattung refinanziert? Der Verlag macht sich selbst angreifbar:
- Warum wird das besprochene Buch/Produkt so überschwänglich gelobt?
- Nach welchen Kriterien werden die zu besprechenden Bücher/Produkte ausgewählt?
- Entscheidet die Qualität, das Leserinteresse oder doch nur der zu erwartende Umsatz aus den Affiliate Links?
- Handelt es sich demnach um eine „echte“ Rezension und Empfehlung, oder um reine Werbung zum Selbstzweck?
Diese Fragen werden sich kritische Leser zu Recht stellen. Denkt man diesen Ansatz konsequent weiter – denn es gibt ja noch weit mehr Formate für Schleichwerbung, wie der von Stefan Niggemeier aufgedeckte Lotto-Advertorial-Fauxpas von Spiegel Online zeigt – so lautet letztendlich die Frage: Sind die „Nachrichten“, die uns präsentiert werden, irgendwann nur noch interessengesteuert? Und wie weit ist es dann noch von der rein kommerziellen hin zur politisch oder anderweitig motivierten Manipulation?
Wie man Affiliate Links erkennen kann
Normalerweise können Affiliate Links nur von Experten als solche erkannt werden. Zu vielfältig sind die technischen Möglichkeiten der Einbindung. Zudem gibt es Methoden, die Verweise zu maskieren, also wie „normale“ Verweise aussehen zu lassen. Amazon Affiliate Links sind jedoch recht einfach zu erkennen. Sie enthalten innerhalb der URL (der Link-Adresse) ein Kürzel der Art tag=beliebigername-21, bei Spiegel Online etwa tag=wwwspiegelde-21.
Die Linkadresse wird im unteren Browserfenster angezeigt, wenn man mit der Maus über einen Verweis fährt (also noch nicht klickt). Am genannten Beispiel verdeutlicht sieht dies so aus:
Manchmal versteckt sich dieses Kürzel (in der Fachsprache „Tag“ genannt) jedoch innerhalb einer deutlich längeren URL, so dass man genau hinschauen muss. Alternativ hilft – nach erfolgtem Klick auf den Link – bei Amazon ein Blick in die Browserleiste ganz oben, ob in der dortigen Adresse das Tag enthalten ist.
Betrug am Leser
Es geht mir mit diesem Beitrag nicht um Paragraphen-Reiterei. Also nicht um ein „Das ist aber verboten“. Sondern um den Betrug am Leser. Denn nichts anderes geschieht meines Erachtens, wenn Nachrichtenportale, Onlinemagazine und Blogger auf versteckte oder nur unzureichend gekennzeichnete Werbeformate setzen. Schleichwerbung nimmt den weniger Webmarketing-versierten Lesern die Wahlmöglichkeit, um einen Beitrag bzw. die Beweggründe für diesen selbst einschätzen zu können. Und Schleichwerbung erschüttert letztendlich das Vertrauen in den Online-Journalismus und/oder die Blogosphäre.
Zudem fürchte ich, dass die (Online-) Verlage experimentieren werden: Wie weit können sie gehen, welchen Grad der Manipulation akzeptieren die Nutzer bzw. welchen Grad nehmen sie nicht wahr? Sogenannte Native Advertising-Formate loten genau das aus.
Jeder kann etwas tun gegen verdeckte Werbung. Es geht darum, bei den (unwissenden) Internetnutzern ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Aber auch bei Bloggern und Online-Redaktionen kann man nachhaken. Und sei es nur mit einem Tweet.
Titelbild: © Tanja Djordjevic
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