Ein journalistischer Beitrag ist immer nur so gut, wie seine Recherche beziehungsweise seine Quellen. Dieser Erkenntnis gilt für den Datenjournalismus umso mehr.
Von der Fehlinterpretation bis hin zur bewussten Manipulation
Wer selbst schon einmal im Umfeld von Big Data, Datenbankanalysen, Data Mining und Business Intelligence gearbeitet hat, der weiß, wie viele Fallstricke dabei lauern. Heruntergebrochen auf den „neuen“ Journalismus sind diese – beispielhaft und sehr vereinfacht dargestellt:
- Fehlinterpretation: Die offensichtlichste Gefahr. Das Durchleuchten großer Datenmengen ist ein höchst abtrakter aber auch anspruchsvoller Vorgang. Nur mit etxrem viel Sorgfalt, mehreren Überprüfungsschleifen, strengem 4/6/8/x-Augenprinzip und klaren Prozessen sowie Richtlinien kann es gelingen, diese Gefahr zumindest zu minimieren. Große Recherche-Verbünde wie bei den PanamaPapers können dies gewährleisten. Kleinere Projekte kaum bis gar nicht.
- Mängel in der Datenbank: Es muss nicht immer der Faktor „Mensch“ sein, der zu falschen Aussagen führt. Fehlerhafte Daten aufzuspüren ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Solche Fehler können bei der Eingabe von Daten passieren, aber auch bei der Zusammenführung mehrerer Datentöpfe, bei Backup-Prozessen, System-Migrationen, beim Import in Analyse-Werkzeuge und und und…
- Manipulierte Datengrundlage: Der spannendste, aber auch perfideste Ansatz. Mit zunehmend erfolgreicheren datenbasierten Geschichten werden Unternehmen und politische Institutionen versuchen, ihr ganz eigenes Storytelling zu betreiben. Das könnte gelingen, indem sie falsche Köder oder Datenbank-„Bomben“ auslegen: Bewusst manipulierte Tabellen bzw. Datenfelder, die bei einer Aufbereitung zu einem ganz bestimmten, künstlich herbeigeleiteten und vordefinierten Ergebnis führen. Spezialisten können solche Ungereimtheiten entdecken. Aber auf der Suche nach dem journalistischen Scoop, der die Reichweite maximal erhöht, dürfte eine solche Sorgfaltspflicht in manchen Fällen zu kurz kommen. Zudem mangelt es an geeigneten Experten, die eine Datenbank entsprechend validieren.
- Betrachtung von Teilbereichen: Bei den PanamaLeaks war der Vorwurf schnell da, bestimmte politische Lager wie Russland/Putin würden besonders kritisch beäugt. Dass die Leaks genauso über die Verstrickungen des ukrainischen Präsidenten berichteten, ging schnell unter. Dennoch besteht natürlich grundsätzlich das Risiko, dass einzelne „Tabellen“ mehr Beachtung finden und mehr Brisanz versprechen, als andere. Hier ist sie wieder, die menschliche Einflussgröße. Doch selbst dem RoboJournalismus könnte Ähnliches passieren, je nachdem, wie seine Algorithmen gestaltet sind.
- Zweit- und Drittverwertung: Stille Post gibt es auch bei Datenjournalismus-Formaten. Wenn weitere Medien – egal ob journalistischer oder privatwirtschaftlicher Natur – die Rechercheergebnisse aufgreifen, sie zu eigenen Infografiken etc. zusammenfassen, wird der ehemals streng analytische Ansatz nach und nach verwässert. All dies kann man nicht dem Ausgangsformat anlasten. Dennoch wartet die Hauptarbeit der Datenjournalisten nach der Veröffentlichung: Wer geht wie mit den gewonnenen Erkenntnissen um? Und wer nutzt sie wie für welche Zwecke?
Und nun?
Normalerweise bräuchte jeder Verlag, jeder Medienschaffende eine oder mehrere unabhängige Instanzen, welche die Ergebnisse und die Folgeerscheinungen des Datenjournalismus kontrollieren und monitoren. Oder diese Arbeit wird in Zusammenarbeit mit einem geeigneten (ehrenamtlichen) investigativen Verbund durchgeführt. Crowd-gestützte Analysen öffentlich gemachter Daten sind ein weitere Ansatz. Zumindest, sofern genügend Interesse an einer Geschichte besteht, was bei lokalen Ansätzen schwierig wird.
Eine fundierte Kontrolle werden sich kleinere und private Medienmacher nicht leisten können (manche werden es sich bewusst auch nicht leisten wollen). Dann jedoch lauert die Gefahr, dass man Wahrheiten erzeugt und viral teilt, die einer genauen Überprüfung nicht standhalten. In „Das gekaufte Web“ gehe ich genauer auf die Mechanismen ein, die aus Daten Falschnachrichten und Propaganda werden lassen.
Feedback erwünscht…
Ist meine Haltung zu pessimistisch? Wie könnten geeignete Kontrollwerkzeuge aussehen? Und wie halten es Journalisten, Blogger etc. mit der Validierung von Daten jeglicher Art? Die Kommentare sind offen.
Titelbild: © Jan Erik Waider / unsplash.com
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