Die Weltmeister singen ein dümmliches Liedchen vor dem Brandenburger Tor, halb Deutschland diskutiert darüber. Als Grund für die Skandalisierung wird ein übermoralisch-verzerrtes Weltbild der (Online-) Medien ausgemacht. Doch ist das der wirkliche Grund für die nicht enden wollende Berichterstattung?

Gauchogate ist ein gutes Beispiel, wenn es um aufgebauschtes Storytelling – oder besser Story-Making – durch Onlinemedien geht, die auf der Jagd nach Klicks sind. Klicks, das bedeutet in diesem Zusammenhang: Möglichst viele Seitenaufrufe zu generieren.

Anhand von Spiegel Online (SPON) lässt sich der Effekt verdeutlichen: Dort stand der Beitrag „Siegestrunkene Nationalspieler verhöhnen Argentinier“ am Veröffentlichungstag meistgelesen auf Platz 1 der SPON-Charts. Logisch, dass die Redaktion mit neuen, darauf aufbauenden Beiträgen nachlegte, und nachlegte, und nachlegte. Es wurden alle Register gezogen.

Kurzfrist- schlägt Langfrist-Erfolg

Das alles feuerte die Diskussion immer weiter an, durch alle sozialen Netzwerke fegte der Sturm. (Autor und Blogger Misha Anouk bezeichnet diesen Prozess in einem Beitrag als „Social Reaction Farming„.) Wovon wiederum die ursprünglichen Artikel profitierten. Andere Web-Medien handhaben dies ähnlich, schließlich bringt eine solche Vorgehensweise Reichweite und damit Geld.

#Gauchogate zeigt also nicht die Übermoral der Onlinemedien auf, oder gar ein sinkendes Gespür für die vorherrschende Volksmeinung. Es wird ein Stück weit bewusst provoziert, für den kurzfristigen Zahlen-Erfolg. Ob sich die Leser dabei zunehmend über die Rolle „der“ Medien ärgern, das spielt keine Rolle. Im Gegenteil: Frust ist ein guter Antrieb für Klicks.

Spannend wird es, wenn sich die Onlinemedien gegenseitig Stimmungsmache vorwerfen, so wie hier „Bild am Sonntag“-Unterhaltungsredakteur Michael Niehus:

Die Mechanismen, die hinter der Empörungsmaschinerie stecken, sie dürften in jeder Netz-Redaktion bekannt sein. Denn im Web lässt sich das Interesse der Leser in Echtzeit bemessen. Entsprechend kann man reagieren: Mit neuen Beiträgen und/oder mittels der Herauf- bzw. Herabstufung gut/schlecht laufender Beiträge.

Kommerzielle Interessen als eigentliche Ursache für den Vertrauensverlust

Das Gespür für klickstarke Themen bestimmt immer öfter, was wir in welcher Frequenz vorgesetzt bekommen. Und genau damit haben die Medien ihr Ziel erreicht. Dieses Ziel ist weniger idealistischer, sondern eher profaner Natur. Den Onlinemedienschaffenden wird derzeit einiges vorgeworfen (Realitätsverlust, einseitige Berichterstattung, Konformität..). Meines Erachtens sind nicht selten kommerzielle Interessen die wahren Beweggründe hinter einer Story, zumindest spielen sie eine immer wichtigere Rolle.

Der Gauchogate-„Skandal“ taugt jedoch nicht dafür, die Schuld alleine bei den Medien zu suchen. Er ist vielmehr selbstgemacht, von uns Lesern. Egal welche Meinung wir bezüglich der skandalisierten Sache selbst haben: Wir klicken, wir kommentieren auf den Medien, wir teilen auf sozialen Netzwerken. Und haben es damit selbst in der Hand, was die virtuellen Titelseiten beherrscht.

Beispiele für die hier geschilderten Mechanismen gibt es tagtäglich, wenn man einmal näher hinschaut. Derzeit macht sich ein neuer Automatismus in der Onlinepresse startklar, frei nach der Devise „Es wird alles ganz schlimm, und das war ja vorhersehbar“: Man beschäftigt sich bereits jetzt damit, was bei der Weltmeisterschaft in vier Jahren in Russland alles schief gehen könnte (Hier die Quelle für das Beispiel). Schließlich fanden vergleichbare Themen zu Brasilien – aber auch zu Olympia 2014 – guten Klick-Anklang bei den Lesern. Es sind vorhersehbare Muster, die da ablaufen.

Künstlich generierte Themen verändern die Netz-Gesellschaft

Eine kurze Anmerkung: Natürlich existieren in der klassischen Printpresse ganz ähnliche Prozesse. Die Auswert- und damit Berechenbarkeit im Web führt solche jedoch in ganz neue Dimensionen.

Spiegel Online macht seine Bestenliste transparent
Spiegel Online macht seine Bestenliste transparent

Die künstlich generierten Themen verändern Diskussionen. Und verändern damit auch unsere Gesellschaft. Zwar entstehen auf diese Weise Dispute, die es so sonst nicht gäbe, und nicht alle davon müssen unnütz sein. Aber es setzt neue Schwerpunkte, lässt neue Filter Bubbles entstehen, lenkt von anderen Themen ab. Das kann uns nicht gänzlich gleichgültig sein.

P.S.: Ich bin mir der Ironie durchaus bewusst, dass dieser Beitrag ein Stück weit ebenso in das #Gauchogate-Horn bläßt. Jegliche Kritik an dem künstlich geschaffenen Hype reitet auf der Welle mit, wie sich auf Twitter recht gut nachvollziehen lässt. Dennoch trägt eine solche (hoffentlich) zur Versachlichung der Lage bei bzw. lässt eine neue Sicht auf die Entstehungsgeschichte von Sommerloch-Gates zu.

Titelbild: © Stephan Ohlsen – Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0